Im Gegensatz zu Patienten mit Bronchialkarzinom oder koronarer Herzkrankheit, die ihre psychischen Probleme in der Arzt-Patienten Kommunikation mehr oder weniger offen präsentieren, scheinen Gespräche zu Angst und Depression bei COPD-Patienten nicht üblich zu sein.
Dies, obwohl all diese Krankheiten selbst verschuldete Folge eines langjährigen Tabakkonsums repräsentieren. Was ist bei der COPD anders und was macht vielleicht den Unterschied aus?
Wir wissen heute, dass die Komorbiditäten bei der Volkskrankheit COPD eine zunehmende Bedeutung erlangen, da sie erheblichen Einfluss auf den Krankheitsverlauf, die Lebensqualität und die Gesamtprognose der Betroffenen haben können.
Neben Veränderungen Gefäßen, Herz, Muskulatur, Knochenskeletts sowie Stoffwechselvorgängen spielt v. a. die psychische Komorbidität in Form von Depression, Angst und Panikneigung eine zwar noch wenig beachtete aber wichtige Rolle.
In den bisherigen Studien wurde vordergründig vor allem die Depression als wesentliches psychisches Problem von COPD-Patienten beleuchtet. Neuere Daten hingegen rücken jedoch Angst- und Panikstörungen zunehmend in den Fokus.
Mit Blick auf die Bedrohlichkeit des Hauptsymptoms der COPD, der Atemnot, kann es nicht überraschen, dass sich ein gegenseitiges Bedingen bzw. Verstärken von körperlichem (Atemeinschränkung) und psychischem Befinden („Not beim Atmen“) manifestiert. Wir wissen, dass sich im Verlauf einer fortschreitenden COPD Atemnot, Angst und Depression im Sinne eines Teufelskreises verselbstständigen können.
Wie häufig sind Depression und Angst bei COPD??
Angstsymptome werden in 10 bis 75%, Panikstörungen in 8 bis 67% und Depressionen in 11 bis 80% genannt. Dieses lässt erkennen, dass uns exakte Angaben fehlen.
Interessant ist, dass sich Selbst- bzw. Fremdeinschätzung erheblich unterscheiden. Fragt man Ärzte, so sehen diese nur bei 6 bis 39% eine Angst-, Panik- und Depressionsproblematik, wohingegen die Betroffenen selbst dies mit 32 bis 79% deutlich öfter angeben. Bei COPD-Patientinnen treten Ängste allgemein häufiger, früher und in stärkerer Intensität auf, als in einer altersgleichen Normalbevölkerung.
Vor was fürchten sich Patienten?
Wir selbst haben wir einen speziellen Fragebogen, den COPD-Angst-Fragebogen (CAF) mit 27 Items entwickelt, der es ermöglicht, die Inhalte der erlebten Ängste abzufragen. Dabei zeigen sich 4 Hauptthemen: Progredienzangst, Angst vor sozialer Ausgrenzung, Angst vor Dyspnoe und Angst vor körperlicher Aktivität. Diese Ängste waren vom COPD Schweregrad unabhängig.
Weiterhin fand sich, dass speziell Ängste vor körperlicher Aktivität und vor Dyspnoe der körperlichen Aktivität im Wege stehen, so dass dadurch die Leistungsbereitschaft und -fähigkeit erheblich eingeschränkt werden.
In einer Internet-Fragebogenstudie in Zusammenarbeit mit COPD Deutschland e.V., vertreten durch Herrn Lingemann bei 1025 COPD Patienten, von denen ca. 60% den Schweregraden III und IV zuzuordnen waren, zeigte sich ein guter Zusammenhang mit anderen Messinstrumenten wie dem COPD Assessment Test (CAT), der General Anxiety Scale (GAD-2) und der Patient Health Questionnaire Depression Scale (PHQ-9).
Auch diesen Daten ist zu entnehmen, dass Frauen Ängste häufiger und krankheitsspezifische Beeinträchtigungen stärker erleben, was zur erheblichen Reduktion von Lebensqualität führt.
Kein Problem der fortgeschrittenen Stadien
Angst und Depressionen manifestieren sich bereits in den frühen Stadien der COPD. In einer eigenen Studie konnte an 132 COPD-Patienten bei der Erfassung von Lebensqualität sowie Angst und Depression klar bestätigt werden, dass diese für alle GOLD-Stadien auf gleichem Niveau lagen. Dies, obwohl die körperlichen Einschränkungen bei den Betroffenen im COPD-Stadium I und II nur wenig spürbar gewesen sein dürften. Möglicherweise ist bereits die erste Konfrontation mit der Diagnose COPD und insbesondere mit dem Begriff „Emphysem“ für die Patienten besonders schockierend.
Es konnte gezeigt werden, dass allein das Vorhandensein einer Depression die Lebensqualität im SGRQ-Gesamtscore um 19 Punkte verschlechterte. Bedenkt man, dass bereits eine Veränderung des Scores von +4 Punkten klinisch bedeutsam sind, so zeigt dies eindrucksvoll, in welchem Ausmaß die Lebensqualität bei psychisch betroffenen COPD-Patienten unabhängig von der Lungenfunktion gemindert sein kann.
Wann beginnt die Angst vor dem Ende
COPD-Patienten leiden zudem oft unter Ängsten, die sich auf die Endphase des Lebens („End of Life- Fear“) beziehen. Diese Aspekte des Sterbens spielen offenbar bereits frühzeitig also Stadien-unabhängig eine bedeutsame Rolle. Dabei scheint weniger der Tod selbst als vielmehr die Art des Sterbens für Patienten mit wiederkehrender Atemnot ein beängstigendes Problem darzustellen. Neben der unmittelbaren Befürchtung, qualvoll zu ersticken (91%) gaben erstaunlicherweise 78% der Untersuchten in unserer Klinik Angst vor Schmerzen für die EoL-Phase an. Befragt, was diese Patienten von ihren behandelnden Ärzten erwarten, finden sich Wünsche nach Informationen zur Erkrankung, Angaben zum weiteren Verlauf, zum therapeutischen Einfluss, zur eigenen Prognose und insbesondere zur Frage wie das eigene Sterben aussehen wird.
Totgeschwiegene Probleme?
Die meisten Patienten geben an, nie mit den behandelnden Ärzten über Ängste gesprochen zu haben. Zudem fühlten sie sich deutlich zu wenig über ihre Erkrankung informiert.
Erstaunlicherweise scheint der COPD-Patient im klinischen Alltag aber eher eine stumme Rolle zu spielen. Somit wird auf ärztlicher Seite entsprechend keine psychische Problematik vermutet.
Eine nie veröffentlichte Deutsche Untersuchung soll gezeigt haben, dass die COPD als Erkrankung sowohl bei Patienten als auch bei Ärzten in sehr schlechtes „Image“ hat. Die Betroffenen rechnen erst gar nicht mit Mitgefühl. Vielleicht liegt es auch daran, dass insbesondere sauerstoffpflichtige COPD-Patienten ihre Erkrankung als peinlich und beschämend erleben.
Therapierealität
Die meisten der von Angst und Depression betroffenen Patienten müssen irgendwie damit - mehr oder weniger gut - alleine zurechtkommen. Aber bereits geringe Maßnahmen in Form von zwei-maliger Verhaltenstherapie können zu einer erheblichen Abnahme von Angst und Depression führen.
Eine Studie hat gezeigt, dass nur bei 8% eine echte, schwerwiegende Depression zu finden ist, wo hingegen bei 43% depressive, resignative Symptome vorlagen. Dies mag erklären, wieso eine rein körperlich orientierte pneumologische Rehabilitation, bei der sie erleben, dass es auch wieder aufwärts gehen kann, ohne Psychotherapie zu einer markanten Reduktion von Angst und Depression führen kann.
Die Verordnung von angstlösenden Medikamenten in niedrigen Dosierungen kann in ausgewählten Fällen bereits zu einer spürbaren Besserung der psychischen Symptome führen.
Auch kann bereits ein kurzes Gespräch mit einem Patienten mit der Zusage einer niedrig dosierten Morphintherapie im Falle unerträglicher Atemnot eine perspektivische Entlastung bieten. Man kann ies als eine Art „End of Life Vertrag“ mit dem Arzt bezeichnen.
Zusammenfassung
Depressionen, Angst- und insbesondere Panikstörungen sind bei COPD-Patienten häufig und für den weiteren Krankheitsverlauf relevant. Nur ein geringer Teil der Patienten erhält bislang entweder medikamentöse oder psychotherapeutische Behandlung. Insbesondere das Wissen um sogenannte „End of life“- Ängste lässt es sinnvoll erscheinen, mit den Patienten frühzeitig ins Gespräch zu kommen. Allein das Ansprechen solcher Themen, das Relativieren oft übersteigerter Zukunftsängste und insbesondere Behandlungszusagen für die Zukunft entlasten Patienten oft enorm.
Patienten und Ärzte sind gefordert, diesem weit verbreiteten Schweigen ein Ende zu setzen und über diese so wichtigen Themen zu sprechen.
Quelle: Vortrag von Prof. Dr. med. Klaus Kenn, Chefarzt Pneumologie, Allergologie, Schlafmedizin Schön Klinik Berchtesgadener Land, Schönau, Professur für Pneumologische Rehabilitation Philipps Universität Marburg, auf dem 10. Symposium Lunge am Samstag, den 02. September 2017 von 9:00-17:00 Uhr in Hattingen (NRW)
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