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Zuletzt angepasst am 07.09.2024

Nicht-invasive Beatmungstherapie (NIV) steigert die Lebensqualität und Lebenserwartung

Patienten mit fortgeschrittener chronisch obstruktiver Lungenerkrankung (COPD) leiden unter zwei schwerwiegenden Veränderungen:

Zum einen ist das Organ Lunge verändert: Ein großer Teil der feinen Lungenblässchen wird zerstört, und an ihre Stelle treten größere, luftgefüllte Räume (Emphysem). Zusätzlich verengen sich die kleinen Atemwege, und es bildet sich  vermehrt Schleim in den Bronchien. Dadurch kommt es zu Strömungshindernissen für die Atemluft, was sich für den Patienten durch erhöhte Atmungsanstrengung bemerkbar macht. Die Auswirkungen dieser Veränderungen können mit zunehmendem Erfolg durch Medikamente und die Langzeit-Sauerstofftherapie abgemildert werden.

Außer den Veränderungen an der Lunge kommt es auch zu Veränderungen an der sogenannten Atempumpe. Damit werden die Muskeln und das Brustkorb- Skelett bezeichnet. Der wichtigste „Atmungsmuskel“ ist das Zwerchfell. Wenn das Zwerchfell über Monate und Jahre eine Lunge mit COPDVeränderungen bewegen muß, kann es zu Ermüdungserscheinungen kommen. Das Zwerchfell kann mit der vom Patienten geforderten Leistung nicht mehr mithalten. Unter diesen Umständen erleidet der Patient Luftnot. Luftnot entsteht anfangs nur bei Belastung (z.B. Treppensteigen), später auch in Ruhe. Die einzige Möglichkeit, die Atempumpe zu unterstützen, besteht in maschineller Beatmung.

Die Nicht-invasive Beatmung (NIV) ist ein Verfahren, das dem überlasteten Zwerchfell Unterstützung anbietet: Mit Hilfe von Masken, die im Bereich von Mund und Nase luftdicht abschließen, können die Patienten für einige Stunden mit einem speziellen Beatmungsgerät zu Hause beatmet werden. Die Handhabung der Gerätschaften ist einfach. Die Beatmungsmaske kann jederzeit vom Patienten selbst an- und abgelegt werden. Während der maschinellen Beatmung übernimmt das Beatmungsgerät die Arbeit des Zwerchfells. Das Zwerchfell wird dadurch in einen Ruhe- und Erholungszustand versetzt. Die Theorie geht davon aus, daß ähnlich wie bei einem Wanderer, der nach einer langen Gehstrecke eine Pause einlegt und seine Beinmuskeln entspannt, auch das Zwerchfell von einer „Auszeit“ profitiert.

Wenn die Muskeln nicht beansprucht werden, können sie sich erholen und nach einiger Zeit mit frischer Kraft wieder eingesetzt werden. Im Falle des Zwerchfells sollte also nach einer Beatmungsphase von ca. 6 Stunden eine regenerierte Atempumpe zur Verfügung stehen. Der Patient soll also während seiner Spontanatmung ohne Maske von größerer körperlicher Leistungsfähigkeit und deutlich weniger Luftnot profitieren.

Die Nicht-invasive Beatmung ist nicht neu: Bereits in den 1930er Jahren wurden in Deutschland Beatmungsversuche mit Gesichtsmasken unternommen. Kurz nach dem 2. Weltkrieg setzte sich aber die so genannte invasive Beatmung durch. Dazu wird der Patient in eine Art Vollnarkose versetzt, und die Beatmung erfolgt über einen Beatmungstubus, der in der Luftröhre des Patienten platziert wird.

Mitte der 1980er Jahre erlebte die Nicht-invasive Beatmung eine Neuentdeckung: Es stellte sich nämlich heraus, dass bei COPD Patienten oftmals schwerwiegende Probleme rund um die invasive Beatmung auftreten. Deshalb wurde  nach Alternativen gesucht. In den 1990er Jahren nahm die Entwicklung von Beatmungsmasken und tragbaren Beatmungsgeräten einen raschen Aufschwung, der bis heute ungebrochen weitergeht.

Mit der Entwicklung von medizinischen Techniken und Verfahren stellt sich immer sofort die Frage, ob die Ideen und Konzepte tatsächlich bei einer größeren Zahl von Patienten umsetzbar sind. Es wurde eine Reihe von kleineren Studien durchgeführt, die einen Nutzen der dauerhaften, außerklinischen nicht-invasiven Beatmung bei schwerer COPD nahelegten. Allerdings fehlte bis vor kurzem eine wissenschaftlich allgemein akzeptierte, klinische Studie mit einer größeren Patientengruppe über einen ausreichen langen Beobachtungszeitraum.

Im Jahr 2003 wurde in der DIGAB (Deutsche Interdisziplinäre Gesellschaft für Außerklinische Beatmung) der Entschluss gefasst, eine große, multizentrische Studie zur dauerhaften Heimbeatmung bei Patienten mit schwerer COPD und Atempumpeninsuffizienz zu starten. Die Arbeitsgruppe um Prof. Welte von der Medizinischen Hochschule Hannover hat das Projekt über viele Jahre gesteuert und im September 2014 publiziert.

Durchgeführt wurde eine prospektive randomisierte klinische Studie mit 36 teilnehmenden Kliniken in Deutschland und Österreich. Über mindestens ein Jahr wurden eine Versuchsgruppe mit 102 Patienten, die Nicht-invasive Beatmung erhielt, und eine gleich strukturierte Vergleichsgruppe (ohne Beatmung) beobachtet. Beide Gruppen erhielten in gleicher Weise die „üblichen“ COPD Medikamente und ggf. eine Langzeit-Sauerstofftherapie. Die Zuteilung der individuellen Patienten zur Versuchs- oder zur Kontrollgruppe erfolgte durch Los.

Für die NIV-Beatmungsgruppe wurde festgelegt, dass die Beatmung so einzustellen ist, damit die bei den Patienten bestehende, hohe Belastung mit Kohlendioxid (CO2) im Blut um mindestens 20 % gesenkt wird. Dies ist ein wesentlicher Unterschied zu früheren Studien.

Bei Studienabschluss konnten 102 NIV-beatmete Patienten mit 93 Kontrollgruppen-Patienten ohne Beatmung verglichen werden. Der primäre Endpunkt der Studie war das Überleben der Patienten. Von den 102 beatmeten Patienten verstarben in einem Jahr 12 Patienten (12 %), von den 93 Patienten in der Kontrollgruppe verstarben im gleichen Zeitraum 31 Patienten (33 %; p < 0,0004). Damit ist die Langzeit NIV eines der wenigen Verfahren in Bereich der pneumologischen Therapien, für die eine höhere Lebenserwartung gezeigt werden konnte.

Bei Patienten in einem weit fortgeschrittenen Stadium einer chronischen Erkrankung ist die Auswirkung einer Therapie auf die Lebensqualität einer der wichtigsten Aspekte. Lebensqualität wird versucht durch die Angaben der Patienten in Fragebögen zu erfassen. In der genannten Studie wurden drei verschiedene Fragebögen wiederholt eingesetzt (SF- 36, St. George’s Respiratory Questionaire, Severe Respiratory Insufficiency Questionnaire). Insgesamt hat sich gezeigt, dass die Lebensqualität in der Kontrollgruppe gleich bleib, während die Angaben der beatmeten Patienten in der Versuchsgruppe auf eine relevante (und statistisch signifikante) Besserung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität hinweisen.

Als weiterer Aspekt wurde auch die körperliche Leistungsfähigkeit gemessen. Dazu wurden wiederholt 6-Minuten-Gehteste durchgeführt. In der Beatmungsgruppe ergab sich ein starker Trend zu einer besseren Leistungsfähigkeit, der sich mit zunehmender Dauer der Beatmung noch verstärkte.

Zusammenfassend lässt sich aus dieser größten und umfassendsten klinischen Studie zum langfristigen Einsatz von Nicht-invasiver Beatmung bei Patienten mit fortgeschrittenere COPD sagen, dass mit diesem Verfahren relevante Verbesserungen der Lebensqualität, der körperlichen Leistungsfähigkeit, und der Lebenserwartung zu erzielen sind.

Referenzen:
Köhnlein T, Windisch W, Köhler D, Drabik A, Geiseler J, Hartl S, Karg O, Laier-Groeneveld G, Nava S, Schönhofer B, Schucher B, Wegscheider K, Criée CP, Welte T. Non-invasive positive pressure ventilation for the treatment of severe stable chronic obstructive pulmonary disease: a prospective, multicentre, randomised, controlled clinical trial. Lancet Respir Med 2014;2:698-705.

Quelle: Vortrag von Priv.-Doz. Dr. med. Thomas Köhnlein Chefarzt der Robert-Koch Klinik Leipzig, auf dem 9. Symposium Lunge am Samstag, den 10. September 2016 von 9:00-17:00 Uhr in Hattingen (NRW)

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